Montag, 2. November 2015

„Osservatore Romano“-Journalistin über ihre Erfahrungen auf der Synode

Die italienische Journalistin Lucetta Scaraffia
Synode einmal anders:
„Eine Art Maskottchen“

So mancher Synodenvater wird jetzt vielleicht bereuen, dass er Lucetta Scaraffia in den drei Wochen der Synode nicht mal die Tür aufgehalten hat. Oder dass er sich in der Kaffeepause an ihr vorbeigedrängelt hat, in Richtung Buffet. Jedenfalls zieht die Beobachterin der Synodenarbeiten – eine von 32 Frauen, die es überhaupt in die Aula geschafft hatten – eine teilweise ätzende Bilanz, und zwar ausgerechnet in der französischen Tageszeitung „Le Monde“.

„Wenigstens haben sie mich eingeladen“: Das sei ihr immer wieder mal durch den Kopf gegangen während der Synode, berichtet die Historikerin und Feministin Scaraffia, Verantwortliche der Frauenbeilage in der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“. Für eine Frau wie sie, „die den Mai 68 und den Feminismus mitgemacht hat“, sei die Synode eine „ungewöhnliche Erfahrung“ gewesen, und das meint sie nicht nur positiv. „Was mich bei diesen Kardinälen, Bischöfen und Priestern am meisten erstaunt hat, das war ihre vollkommene Unkenntnis des Weiblichen, ihr unsensibler Umgang mit Frauen, die sie offenbar für minderwertig halten“, so die 67-Jährige. Eine große Mehrheit der Synodenväter, nicht alle, hätten vor allem zu Beginn in ihrer Anwesenheit „deutliches Unbehagen“ verspürt. Nach einer Weile habe man sich immerhin an sie gewöhnt und sie „als eine Art Maskottchen“ gelten lassen.

„Es gab ganz klar verschiedene Lager“

„Nur geduldet“ und „fast inexistent“ habe sie sich gefühlt – nicht nur in der Aula, sondern auch in ihrer Sprachgruppe. „Jede meiner Wortmeldungen ging ins Leere.“ Als sie versucht hatte, mit einigen der anderen Frauen in der Synodenaula über ihre Erfahrungen zu sprechen, hätten die sich offenbar gewundert: „Für die war es offenbar normal, so behandelt zu werden.“ „Fast unsichtbar“ waren die Frauen auf der Synode, dabei gehe sie das Thema – die Ehe- und Familienpastoral – doch unmittelbar an. Immer, wenn sie darauf hingewiesen habe, hätten Synodenväter ihren „Mut“ gelobt, notiert Scaraffia. „Erst war ich etwas überrascht, dann merkte ich: Dass ich deutlich gesprochen hatte, befreite sie davon, das ebenfalls zu tun.“

Anders als viele Synodenteilnehmer schreibt Scaraffia übrigens unumwunden, natürlich habe es „verschiedene Lager“ gegeben: „jene, die die Dinge wirklich ändern wollen, und die, für die alles so bleiben soll, wie es ist“. Die „Opposition“ sei „sehr deutlich“ gewesen. „Zwischen den Lagern gab es eine Art Grauzone, wo man sich arrangierte, nur vage Dinge äußerte und erst einmal abwartete, in welche Richtung sich die Debatte entwickeln würde.“ Mit Belustigung notiert Scaraffia die Redeweise im „konservativen Lager“: „Sie haben eine bunte Sprache, um von den Freuden der christlichen Ehe zu sprechen, etwa Hochzeitsgesang, Hauskirche, Evangelium der Familie. Sie zeichneten damit eine perfekte Familie, wie es sie in der Wirklichkeit gar nicht gibt.“

Das „progressive Lager“ kam Scaraffia „nuancierter“ vor. Man erkenne die Mitglieder dieses „Lagers“ allerdings daran, dass sie alle von Barmherzigkeit sprächen. „Barmherzigkeit war das Schlüsselwort der Synode: In den Arbeitsgruppen kämpften die einen darum, es aus den Texten zu tilgen, während die anderen versuchten, es ganz im Gegenteil überall einzustreuen.“ Eigentlich sei das „gar nicht so kompliziert“, fährt Scaraffia fort. Sie habe sich vor der Synode eine „theologisch irgendwie komplexere Situation vorgestellt“.

„Sexualität“ wurde zu „Affektivität“

Die auf der Synode geführte Sprache fand Scaraffia, von einigen Ausnahmen abgesehen, viel zu „selbstreferentiell“. Sie sei „fast immer unverständlich“ gewesen „für alle, die nicht zum kleinen Kreis des Klerus gehören“. Da werde etwa „Sexualität“ zu „Affektivität“.

Trotz ihrer beißenden Bemerkungen glaubt Scaraffia, dass sich auf der Synode „ein tiefer Wandel vollzogen“ habe: „Zu akzeptieren, dass die Ehe ebenso eine Berufung ist wie etwa das Ordensleben, ist ein großer Schritt nach vorn. Es bedeutet, dass die Kirche den tiefen Sinn der Inkarnation versteht, die dem, was mit dem Körper zu tun hat, spirituellen Wert zuspricht.“ Das gelte „auch für die Sexualität“ als „spirituelles Mittel“.

Ebenso wichtig erscheint ihr das Insistieren auf einer guten Vorbereitung auf die Ehe: „Das war’s jetzt mit der Fassaden-Zugehörigkeit, ohne wirkliche Gewissensentscheidung. Die große Lehre Jesu, dass nur die Absicht des Herzens zählt, tritt jetzt immer mehr ins praktische Leben. Wir machen also einen wichtigen Fortschritt im Verständnis seines Wortes.“ Die Autorin fährt fort: „In den zahlreichen Polemiken über die Lehre oder die Normen kommt nichts von alledem vor. Aber wenn man näher hinsieht, ist die Veränderung doch erkennbar, und sie ist ohne Zweifel positiv.“
Quelle: Radio Vatikan >> 


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